Ich habe heute kein Review für dich
Hintergrund

Ich habe heute kein Review für dich

Ich empfehle dir vorerst nichts mehr. Nur eines noch: Das beste Sportgerät ist momentan jenes, welches du kriegen kannst. Ein paar Antworten auf die allgegenwärtigen Fragezeichen.

Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Review stehen. Wochenlang habe ich auf dem AirRower Elite trainiert, Erfahrungen gesammelt und ausprobiert. Doch wenn ein Review erscheint, sollte das Produkt auch verfügbar sein. Du willst keinen ellenlangen Text über die Vorzüge und Nachteile eines Rudergeräts lesen, um am Ende nur ein Fragezeichen statt eines Liefertermins zu sehen.

In letzter Zeit sind die Fragezeichen häufiger geworden. Ich kann gar nicht so schnell schreiben, wie die sich die Lager leeren. Wenn mal wieder unvermittelt ein Fragezeichen auftaucht, reagiere ich, wie ich es auch als Kunde tun würde: mit Frust. Dabei sollte ich es besser wissen und Verständnis für die Kollegen haben. Deshalb forsche ich etwas nach. Willkommen bei: «Die drei ??? und das Rätsel um die verschwundenen Sportgeräte». Einem Wirtschaftskrimi, bei dem der Täter schnell ermittelt ist: Schuld ist wie immer das Coronavirus.

«Im Normalfall haben auch unsere Partner einen Lagerbestand», sagt mein Kollege Tim Nepomuck aus unserem Produktmanagement. «Aber was bei ihnen ankommt, ist schon versprochen und geht sofort wieder raus. Letztes Jahr hätten wir sagen können: Gib uns noch zwanzig Rudergeräte aus deinem Lager. Das was wir jetzt bestellen können, ist schon fürs vierte Quartal.»

Spass macht die Arbeit trotzdem noch: Tim erklärt mir, wo fürs Category Management die Schwierigkeiten liegen.
Spass macht die Arbeit trotzdem noch: Tim erklärt mir, wo fürs Category Management die Schwierigkeiten liegen.

Damit ist niemand glücklich. Du interessierst dich für ein Sportgerät und bekommst es nicht. Ich teste es, um darüber zu schreiben, und kann den Beitrag nicht veröffentlichen. Meine Kolleg*innen würden gerne mehr einkaufen und die Lieferanten gerne mehr verkaufen. Aber: Rien ne va plus. Die globalen Lieferketten laufen nicht mehr wie am Schnürchen. Sie sehen eher so aus wie diese «Bernsteinkette für Mama»: völlig überfrachtet, an einigen Stellen knubbelt es sich, andere sind etwas licht. Nicht schön.

Mamma mia! Was genau ist das Problem? Warum könnten die Fitness-Verkäufer das Geschäft ihres Lebens machen und kommen doch nicht hinterher? Ich frage bei Benedikt Lieber von der agon-sports GmbH nach, die uns beliefert und über die der monströs grosse Ruderergometer den Weg zu mir gefunden hat. «Die Schwierigkeiten liegen sicher im Gesamtpaket», sagt er. Grosse Pakete, grosse Schwierigkeiten, denke ich und habe den 60-Kilo-Karton mit dem Rudergerät im Sinn.

Benedikt meint mit «Gesamtpaket» natürlich etwas anderes: «Zum einen sind die Produktionsfirmen aufgrund von Corona teilweise nicht voll besetzt, sodass die Produktion nicht ausgelastet werden kann. Zum anderen muss die Produktion manchmal bewusst runtergefahren werden, weil aufgrund der wenigen Transportmöglichkeiten die Lagerhallen voll sind», erklärt er. «Es fahren weitaus weniger Containerschiffe als unter Normalbedingungen. Wir haben also auf der einen Seite eingeschränkte Produktions- und Transportkapazitäten und auf der anderen Seite die gestiegene Nachfrage nach Fitnessgeräten. Weitgehend dadurch bedingt, dass immer mehr Menschen von zuhause arbeiten und die Gyms geschlossen sind.» Eingeschränkte Verfügbarkeit, erhöhte Nachfrage. Ich habe zwar nicht Betriebswirtschaft studiert, kann mir aber denken, was das für die Preise bedeutet.

Mein Schatzzz... wohl dem, der eine Trainingsmöglichkeit hat.
Mein Schatzzz... wohl dem, der eine Trainingsmöglichkeit hat.

Container sucht Schiff

Warum es derzeit so schwer ist, die Waren um die Welt zu bringen, verdeutlicht das aktuelle «Ocean Freight Market Update» des weltgrössten Logistikunternehmens DHL. Los ging es Anfang 2020. Zuerst brach die Nachfrage ein, als die Coronakrise die (Handels-)Welt zum Stillstand brachte. Kaum hatten die Logistiker darauf reagiert, stieg sie sprunghaft an und ist bis ins dritte Quartal hinein drastisch gewachsen. Während in Asien leere Container fehlten, bildeten sich andernorts Staus vor den Häfen und die Preise gingen durch die Decke. Lag der Preis für einen 40-Fuss-Container Ende April noch bei etwa 1500 Dollar, steht der World Container Index im Februar 2021 bei über 5200 Dollar.

Nach wie vor fehlen Container und die Planungszuverlässigkeit sei so schlecht wie nie, schreibt DHL. Immer noch stapeln sich die Container in Europa und den USA, in den Häfen bremsen Covid-Restriktionen das Geschäft zusätzlich. Alleine vor Los Angeles und Long Beach lagen im Januar über 30 Containerschiffe im Stau vor Anker. Mit insgesamt 240 976 TEU, also 20-Fuss-Containern an Bord. Wie ein gigantisches Lego-Set, das gerade niemand auspacken kann. Ich staune Bauklötze. Besserung ist vorerst nicht in Sicht. Kurzfristig bewertet DHL die Lage für Importe aus Asien nach Europa was die Kapazitäten angeht mit -- (in Worten: Minusminus), die Kosten dagegen mit ++ (richtig: Plusplus). Deshalb wird es das versprochene Review zum AirRower Elite so schnell nicht geben. Das tut weh. Nicht nur im Rücken.

  • Hintergrund

    Rudertraining und die Schmerzen im unteren Rücken

    von Michael Restin

Wobei ich mit dem Review auch schwer getan hätte, weil es nicht ohne einen Vergleich mit Concept2 ausgekommen wäre. Und die Modelle dieses Herstellers sind momentan natürlich auch nicht aufzutreiben.

Leider nein, lieber User.
Leider nein, lieber User.

Sportler*in sucht Sportgerät

An diesen Engpässen sind wir auf eine gute Art mitschuldig. Na klar, wir suchen alle Ausgleich und Bewegung, schwingen uns aufs Velo, gehen laufen oder zimmern uns wie Sportsfreund Bardelli ein Mini-Gym aufs Klötzliparkett. Das ist besser als nichts. Und erfreulicherweise entdecken viele, die plötzlich mehr Leerlauf im Leben haben, den Sport für sich. Rund 20 Prozent sind inzwischen häufiger aktiv, hat das Marktforschungsinstitut GfK ermittelt. Bei uns im Unternehmen hat sich der Umsatz mit Sportartikeln mehr als verdoppelt. Als ich vor ein paar Monaten über den PowerCube geschrieben habe, war das Lager voll. Kaum war das nächste Wochenende vorbei, stolperte ich über Kommentare wie diesen.

«Wir hatten glaube ich um die 300 Stück», sagt Tim. Gereicht hat das nicht. Wie bei allem, was derzeit Fitness verspricht. «Besonders bei den Grossgeräten wird uns was verfügbar ist aus den Händen gerissen.» Beim PowerCube gibt's zumindest die Aussicht, dass im März nochmal welche kommen. Hinter dem genauen Liefertermin steht wie immer: ein Fragezeichen.

Autsch! Auch alle weg.
Autsch! Auch alle weg.

Und wenn mal ein Zeitraum dasteht, kann er sich verschieben, weil die weltweite Logistik Schluckauf hat. Oder, wie DHL es formuliert: «Schedule reliability is at an all time low.» Entsprechend passen die Lieferanten die Angaben an – und schon ist dein so gut wie geliefertes Laufband wieder in weiter Ferne. «Wenn sich das Lieferdatum mehrfach verschiebt, enttäuscht das die Kunden natürlich», sagt Tim. «Wir bitten die Partner darum, lieber eine Woche mehr Puffer einzuplanen und sind auf ihre Angaben angewiesen.» So hat jede*r seine Probleme. Dabei geht es noch allen relativ gut, die gesund sind und Sport treiben können.

Mach das Beste draus

Falls bei dir ein paar brauchbare Sportgeräte verstauben, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, sie wieder in Umlauf zu bringen. Gut für dich und für die anderen. Was du bei uns gekauft hast, kannst du über die Wiederverkaufsplattform anbieten. Ansonsten helfen Tutti, Ricardo & Co. Ich habe von alten Bikes gehört, die zu Höchstpreisen den Besitzer gewechselt haben. Und wenn du dich für Neuware interessierst, lohnt es sich, schnell zu sein.

  • Hinter den Kulissen

    Die Schweiz sattelt um. Gehen uns bald die Velos aus?

    von Alex Hämmerli

Nach der Bestellung beginnt das Warten. Darin sind wir inzwischen alle Experten, und das muss nicht nur schlecht sein. Mein Nachbar hat sich vor Monaten einen neuen Rahmen gegönnt und die Vorfreude wiederentdeckt. Statt Same-Day-Lieferung Someday-Lieferung. Liegt das Projekt halt ein paar Wochen auf Eis. Umso schöner, wenn es dann losgeht. Bis dahin heisst es: kreativ bleiben! Und sportlich das Beste aus der Situation machen.

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Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.


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