Interview mit Elektroauto-Experte: «Ängste wegen der Reichweite sind unbegründet»
Hintergrund

Interview mit Elektroauto-Experte: «Ängste wegen der Reichweite sind unbegründet»

Hans Fischer fährt seit 2017 elektrisch, er kennt viele der aktuellen Modelle durch ausgiebige Testfahrten. Er kennt die Vorteile bei der Elektromobilität, aber auch die Probleme.

Ich bin Elektroauto-Neuling. Grün unterwegs, aber eben auch noch grün hinter den Ohren.

Anders als Hans Fischer. Er bezeichnet sich selbst als E-Mobilität-Enthusiast und ist mit seinem Technikblog seit 2010 zu einer wichtigen Adresse geworden, wann immer es um Energiemanagement, Solarenergie oder eben um Autos mit Elektroantrieb geht. Seit drei Jahren widmet sich der studierte Elektroingenieur und Familienvater zudem auch beruflich einem Zukunftsthema. Er ist Gründer und Mitinhaber der Solar Manager AG, die eine Steuerungssoftware vertreibt, die zum Beispiel auf Hausdächern erzeugten Solarstrom optimal nutzbar macht.

Zum Interview haben wir uns zum Thema passend dort verabredet, wo man die Zukunft schon live erleben kann: an den Elektroladesäulen der Autobahnraststätte Kemptthal.

Hans, vielen Dank, dass Du Dir Zeit nimmst. Ich dachte ja, wir treffen uns hier, weil ich ohnehin mein Auto laden muss. Aber es ist so gut wie vollgeladen.

Hans Fischer: (lacht) Ja, Du überschätzt eben – wie die meisten übrigens – wie wenig Du eigentlich unterwegs laden musst. Insbesondere, weil Du ja privilegiert bist und daheim laden kannst.

Stimmt, ich habe Dir ja schon erzählt, dass ich mit dem von Dir erfundenen Solar Manager den Strom von der Solaranlage gesteuert in den Akku des Autos lade.

Und damit dürftest Du jetzt in den Sommermonaten immer genug Strom haben, dass es für die alltäglichen Fahrten ins Büro reicht, oder?**

Auch das stimmt. Aber eigentlich wollte ich ja die Fragen stellen. Also: Die Prognosen für die Verkäufe von Elektroautos sind derzeit sehr positiv. Und trotzdem, kann es nicht sein, dass das alles nur ein Hype ist?

Ich kenne niemanden, der nach dem Kauf eines Elektroautos wieder zurück zum Verbrenner will. Das Fahrgefühl mit der Beschleunigung ohne Verzögerung, die hohe Effizienz, die Ruhe im Auto, und natürlich der ökologische Aspekt – das sind schon starke Argumente.

Viele Menschen sind allerdings immer noch skeptisch. Was sind die drei grössten Sorgen oder Ängste, die Du immer wieder hörst.

Erstens ist es sicher die Frage der Reichweite. Zweitens die Sorge, unterwegs nicht genügend Möglichkeiten zu finden zum Laden. Und drittens … (überlegt) … vielleicht noch die Frage, ob der Akku im Auto eine ausreichend hohe Lebensdauer hat.

Und was sagst Du zu diesen Ängsten? Zum Beispiel zur Reichweite der Elektroautos?

Dass sie unbegründet ist, in den allermeisten Fällen zumindest. Ich selbst bin zum Beispiel viel im Aussendienst unterwegs, ich fahre also überdurchschnittlich viel. Mit den grossen Akkus kommen heutige E-Autos problemlos 300 bis 400 Kilometer weit, bevor sie wieder geladen werden müssen.

Das reicht aber eben nicht für die Fahrt in die Ferien.

In der Schweiz kommst Du damit fast überall hin. Aber ich weiss, worauf Du anspielst. Wenn ich mit der Familie nach Italien fahre, plane ich Ladestopps ein. Die kurzen Pausen machen Leute mit Verbrennerfahrzeugen übrigens auch. Auch sie müssen auf das WC, auftanken oder haben Hunger. Und so ein Stopp benötigt schnell mal 15 Minuten. In der Zeit kann ich auch mein E-Auto mit neuer Reichweite auftanken.

Dieses schnelle Laden unterwegs hat aber seinen Preis.

Richtig, aber selbst wenn ich da für eine Kilowattstunde vielleicht 79 Rappen bezahle, bewegt sich das dann etwa auf dem Niveau von Benzin oder Diesel, wenn ich es auf die Kosten für 100 Kilometer umrechne. Und Schnellladen ist für Elektroauto-Fahrer eh die Ausnahme. Ich habe bei mir recherchiert, trotz viel Aussendienst komme ich auf knapp 15 Prozent Schnellladen, bei vielen Leuten wird der Wert deutlich unter zehn Prozent liegen.

Weil sie in der Garage oder im Carport zu Hause laden?

Ja, das ist der Normalfall. Hier lädt der Akku dann zum Beispiel über Nacht zum niedrigen Stromtarif für wenige Franken voll. Oder, noch besser, über eine Solaranlage auf dem Dach sogar kostenlos – wenn man mal grosszügig die einmaligen Kosten für die Installation einer Anlage kurz vergisst.

Hans Fischer lädt seinen elektrischen angetriebenen VW ID.4 meistens an der Wallbox in der heimischen Garage.
Hans Fischer lädt seinen elektrischen angetriebenen VW ID.4 meistens an der Wallbox in der heimischen Garage.

Mieterinnen und Mieter haben es allerdings vielfach schwerer, weil sie keine Lademöglichkeit haben.

Das ist ein echtes Problem und muss auch politisch gelöst werden, konkret mit einem Recht auf eine Ladestation für Menschen in Mietwohnungen. Da gibt es auch schon Vorstösse. Wer zu Hause heute nicht laden kann, wird sich eher nicht für ein Elektroauto entscheiden. Hier hätten aus meiner Sicht Arbeitgeber eine grosse Chance.

Inwiefern?

Firmen könnten Möglichkeiten zum Laden für die Mitarbeitenden anbieten. Das wäre ein attraktives Fringe Benefit.

Einige Firmen bieten zumindest schon ihrer Kundschaft mit Elektroauto sogar gratis die Nutzung von Ladesäulen an. Während ich einkaufe, lädt mein Auto.

Eine gute Sache, aber das wird auch wieder verschwinden. Wenn mehr E-Autos unterwegs sind, oder wenn so ein Angebot ausgenutzt wird, wird das eher für Konflikte sorgen, den die Unternehmen dann vermeiden wollen.

Apropos Ärger. Laden unterwegs ist manchmal immer noch auch ein Abenteuer. Es gibt verschiedene Ladenetze, die unterschiedliche Ladekarten haben wollen, verwirrende Tarife, nicht funktionierende Ladesäulen …

Es ist eine Umstellung, wenn man das Tanken an Tankstellen gewöhnt ist. Aber in der Schweiz, oder auch in Österreich, in Deutschland, Frankreich, den Benelux-Ländern oder im Norden Italiens oder in Skandinavien ist die Infrastruktur schon ziemlich gut. Ich habe zum Beispiel eine Ladekarte für die Schweiz von Move, die WeCharge von VW und eine von EnBW, einem Energieunternehmen aus Deutschland. Mit diesen Karten kann ich überall laden. Und für die Planung von längeren Strecken gibt es sehr gute Apps und Websites wie zum Beispiel «A Better Route Planner» oder «Pump», die passende Ladesäulen kennen und die nötigen Stopps samt Ladezeit vor Ort einrechnen.

Oft stehen die Ladesäulen aber nicht an den schönsten Orten, oder?

Ich war einmal an einer, die in einem Industriegebiet bei einem Baustoffhandel stand. Das ist dann wirklich nicht attraktiv, weil man nur im Auto sitzt und wartet, bis man weiterfahren kann. In der Schweiz hat das Astra im Jahr 2018 100 Schnellladestationen an den Autobahnen ausgeschrieben. Solche Rastplätze sind allerdings auch nicht immer die Orte, an denen man Zeit verbringen möchte. Vereinzelt haben die aber verhältnismässig schöne Picknick-Möglichkeiten.

Sollten Menschen, die jetzt mit dem Gedanken spielen, ein Elektroauto zu kaufen, nicht eh lieber noch abwarten? Die Technik wird schliesslich dauernd besser.

Wenn es danach geht, dürfte man nie etwas kaufen. Natürlich geht die Entwicklung weiter, aber Elektroautos sind heute absolut alltagstauglich. Elektrisch angetriebene Autos mit 1000 Kilometern Reichweite wie die Mercedes-Studie EQXX müssen über eine sehr tropfenartige Bauform niedrigen Verbrauch erreichen. Oder die Autos werden immer noch schwerer wegen mehr Akkukapazität.

Die Studie des Mercedes EQXX zeigt, wie die Silhouette des Autos in die Länge gezogen wurde, um weniger Luftwiderstand zu erreichen.
Die Studie des Mercedes EQXX zeigt, wie die Silhouette des Autos in die Länge gezogen wurde, um weniger Luftwiderstand zu erreichen.
Quelle: Mercedes

Man liest auch immer wieder von revolutionären Batterietechnologien, die Laden so schnell machen wie tanken heute.

Solche Nachrichten von einem «Durchbruch» kommen häufig von Forschungseinrichtungen. Bis solche neuen Technologien dann im Massenmarkt ankommen, können noch Jahre vergehen. Und es gibt auch meistens eher viele kleine Sprünge, die in der Praxis ankommen.

Bei der Software kann ich als E-Auto-Fahrer früher Verbesserungen spüren, oder?

Hier profitieren aber alle Autos, weil die Updates auf alle Autos, egal ob neu oder älter, kommen. Das sind die sogenannten Over-the-Air-Updates. Wie bei einem Smartphone eben. Die Hardware macht dort einen Teil des Produkts und seiner Leistungsfähigkeit aus, aber wesentlich ist auch die Software. Beim E-Auto ist es ähnlich.

Heute war an den sechs Säulen in Kemptthal kein einziges Auto am Laden. Wir hätten also problemlos einen Platz gefunden. Wird das so bleiben, wenn es künftig immer mehr Elektroautos gibt?

Jetzt kommt die zweite Sorge von Deiner Frage weiter oben, nämlich die nach den Lademöglichkeiten. Also, wir haben in der Schweiz eine vergleichsweise hohe Dichte von Ladestationen und sie wird auch immer besser. Aber natürlich kann eine Infrastruktur nicht dafür ausgelegt sein, die extremsten Spitzen abzufedern. Das wäre schlicht zu teuer. Wenn die halbe Schweiz in den Ferien in die Berge fährt, kann es schon auch zu Wartezeiten an beliebten Ladepunkten kommen. Das ist aber wirklich nur in sehr wenigen Fällen zu bestimmten Zeitpunkten so.

Laden mit Aussicht: An seinem Wohnort lädt Hans Fischer Solarstrom vom eigenen Dach ins Auto.
Laden mit Aussicht: An seinem Wohnort lädt Hans Fischer Solarstrom vom eigenen Dach ins Auto.

Bleibt noch die Frage, ob die Akkus in Elektroautos auch langfristig funktionieren, konkret auch nach ein paar Jahren noch die Reichweite haben wie am Anfang.

Welche Kapazität Akkus nach zehn oder 15 Jahren haben, weiss man heute nicht genau. So lange sind Elektroautos ja gar nicht im Markt. Die ersten Erfahrungsberichte zeigen aber, dass der Akkuverschleiss ein viel geringeres Problem sein dürfte als angenommen. Ein Tesla-Fahrer hat bereits über eine Million Kilometer zurückgelegt.

Das dürfte Verbrenner-Fans nicht überzeugen …

Es gibt eine Gruppe, die sind mit rationalen Argumenten schwer zu erreichen. Für die ist das Auto mit Verbrennungsmotor fast schon eine Art Religion. Da muss es röhren beim Druck aufs Gaspedal.

Für Garagisten ist das Elektroauto auch nicht nur ein Segen.

Für Betriebe fällt mit dem Umstieg auf Elektromobilität ein wesentlicher Teil des Geschäfts weg. Elektromotoren brauchen viel weniger Wartung. Das E-Auto insgesamt auch, hier bleiben Elektronik, Bremsen und Klimaanlage als grössere Blöcke übrig. Dass Leute in Werkstätten Angst um ihr Geschäft haben, ist verständlich. Aber der Umstieg passiert nicht von heute auf morgen. Erst 2035 dürfen in der EU keine neuen Verbrennerfahrzeuge mehr zugelassen werden. Genug Zeit für den Wandel also.

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Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln. 


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