

Sommer, Sonne, Abenteuer? Nein danke!

Alle Jahre wieder muss ich mich von Mai bis September mit meinem schlechten Gewissen auseinandersetzen. Ich sollte das schöne Wetter nutzen – habe aber oft einfach keine Lust darauf.
Der Sommer ist da und alle freuen sich. Alle? Nein, ich nicht. Während alle Welt zu den Stränden hetzt – oder zu den Flughäfen, um woanders zu den Stränden zu hetzen –, fechte ich Kämpfe mit meinem inneren Schweinehund aus. Er will, dass ich mithetze, aber mir ist oft ein gemütlicher Abend zu Hause lieber.
Und deswegen liest du gerade keinen Beitrag darüber, welche fünf Sachen in deine Strandtasche gehören oder wie du dir die beste Playlist für einen langen Flug zusammenstellst. Sondern meine Meinung darüber, warum mich der Sommer und seine konstante Aufforderung zu entsprechenden Aktivitäten nervt.
Jährlich grüßt die Urlaubsfrage
Nur weil die Sonne scheint, bin ich abends nach der Arbeit nicht weniger ausgelaugt. Nur weil Stadtfest ist, brauche ich am Wochenende nicht weniger Zeit für Ruhe und Frieden. Und nur weil Hinz und Kunz im Sommer verreisen, muss ich nicht jedes Jahr einen tollen Urlaub machen.

Quelle: Privat
Eine der beliebtesten Small-Talk-Eröffnungen in der ersten Jahreshälfte ist die Frage: «Und, wohin geht’s im Sommer?». «Nirgendwohin», antworte ich dieses Jahr. Oder: «Vielleicht verreise ich ganz spontan, wenn mir eine tolle Idee kommt und alles passt.» Urlaubstage sind schließlich wertvoll, sie müssen bewusst eingesetzt werden.
Versteh mich nicht falsch, auch ich tingle gern durch andere Länder und liebe es, neue Orte zu entdecken. Aber leider gelingt es mir nicht immer, eine Reise zu planen, die mir die richtige Kombination aus Entspannung, Wohlfühlen und Erlebnissen beschert.
Hoher Planungsaufwand ohne Zufriedenheitsgarantie
«Ihr müsst euch Florenz anschauen», hörte ich zum Beispiel oft. Also organisierte ich eine Zugfahrt von Hamburg nach Florenz und nach einer Woche zurück. Nur um dann festzustellen: Hübsch ist die Stadt in der Toskana ja und sie hat tolle Museen – aber die halbe Welt scheint sich hier durch die Gassen zu walzen. Da mag ich halb vergessene Bergdörfer in Ligurien lieber als solche Touristenmagneten, die «man gesehen haben muss». Und geregnet hat es auch in Florenz.

Quelle: Debora Pape
Die Zugfahrten waren aber ein Erlebnis, das mir in Erinnerung bleibt. Mit dem Schlafwagen durch Deutschland, mit dem Schweizer Bummelzug über die Alpen, im italienischen Frecciarossa mit 300 Stundenkilometern über die Po-Ebene – das war eine echte Reiseerfahrung. Mir ist jedenfalls klar: keine Massentourismus-Ziele mehr!
Aber ob Zugfahrten durch Europa, die Reise nach Spitzbergen in der Arktis, der Roadtrip am Rande der Sahara oder die Wohnmobiltour durch Großbritannien – solche Reisen erfordern mehr Planungsaufwand und sind oft auch teurer als der Aufenthalt am mediterranen Playa del Langeweile. Ich habe weder Zeit noch Lust, mich jedes Jahr wochenlang um die Organisation von Unterkünften, An- und Abreise, Events, Katzenbetreuung und eventuell neue passende Klamotten zu kümmern.

Quelle: Privat
Mein Kampf gegen die innere Stimme
Trotzdem sagt mir mein Kopf, dass ein anständiger Sommerurlaub dazugehört. Dafür arbeitet man doch das ganze Jahr, oder? Nichts zu unternehmen ist wie eine verpasste Gelegenheit, mein Leben zu leben. Und rumliegen kann ich, wenn ich tot bin.
Darf ich vorstellen? Meine nervtötende innere Stimme, die mir einflüstert, dass ich aktiv sein muss. Sie macht mir ein schlechtes Gewissen, wenn ich im Sommer lieber mental entspannt zwei Wochen morgens ausschlafe, als auf Reisen zu gehen. Diese Stimme zu ignorieren, fällt mir sehr schwer.
Immer wieder muss ich mir erneut bewusst machen: Reisen ist ein Privileg – Nichtreisen aber auch. Insbesondere ohne Kinder. Welche größere Freiheit gibt es für einen Menschen in der Arbeitswelt, als das zu tun, was mir jetzt, in diesem Moment, Freude macht? In den Tag hinein zu leben, ohne den selbstgemachten Druck, Museum X, Altstadt Y und Aussichtspunkt Z zu besichtigen, damit sich der Aufwand für den Urlaub auch wirklich am Ende lohnt?

Es liegt viel Entspannung darin, die Wahl zu haben, spontan einen Ausflug zu machen oder doch im Lesesessel Tolkiens «Nachrichten aus Mittelerde» zu lesen oder ein Game zu zocken, für das ich nach der Arbeit nicht genug Zeit habe.

Quelle: Debora Pape
Und abends wird einfach eine Pizza gegrillt, anstatt stundenlang nach einem passenden Restaurant zu suchen. Dazu selbstgemachte Limonade oder Cocktails und eine schöne Spielrunde in Ruhe und Frieden auf der Terrasse, statt müde, verschwitzt und sonnenverbrannt nach einem langen Tag auf den Beinen mit Besoffenen auf dem Jahrmarkt zu kollidieren.
Regentage gegen das schlechte Gewissen
Es gibt Tage, da passt meine Unternehmungslust zum sonnigen Wetter. Dann treibt es mich auch raus aus dem Haus. Es gibt aber auch genügend Tage, an denen mir der Gamingstuhl schlichtweg attraktiver erscheint als Menschenmengen in der Altstadt. Das schlechte Gewissen und ein nerviges Gefühl, mein Leben zu verpassen, bleibt aber trotzdem.
Und deswegen freue ich mich im Sommer auch über Regentage. Damit kommt ein Stück herbstliche Gemütlichkeit. Niemand kann verlangen, dass ich im strömenden Regen Abenteuer erlebe. Tja, schade. Dann muss ich leider drinnen bleiben und kann ganz ohne schlechtes Gewissen ein Game zocken.


Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.