
Hintergrund
Ab 45 droht Männern eine verhängnisvolle Negativspirale
von Martin Jungfer
Testosteronmangel macht Angst – doch braucht wirklich jeder erschöpfte Mann Testosteron auf Rezept? Wo der Hype ums Hormon herkommt und was stattdessen hilft.
Jenseits der Vierzig läuft vieles nicht mehr wie früher: Das Bäuchlein wächst, Treppensteigen macht kurzatmig, und die Lust auf Sport, Sex oder Neues bleibt öfter auf der Strecke. Schnell liegt bei Männern eine Erklärung nahe: Testosteronmangel – klar, das muss am «Männlichkeitshormon» liegen.
Aber ist ein sinkender Testosteronspiegel tatsächlich so häufig der Grund für schwindende Power – oder doch eher ein clever vermarkteter Mythos? Bevor du zur vermeintlichen Wunderkur greifst (oder die nächste Instagram-Anzeige für den ultimativen Hormon-Boost anklickst), lohnt sich ein kritischer Blick auf die Fakten.
Rund um das Thema hat sich längst ein lukrativer Markt gebildet: Testosteron wird als schnelle Lösung für jedes Zipperlein ab 40 vermarktet – von Antriebslosigkeit bis Muskelschwund. Dabei klingt das Versprechen verlockend: Ein bisschen «Männerhormon» tanken, schon läuft das Leben wieder wie geschmiert!
Doch genau das ist der Kern des Problems: Die wissenschaftliche Evidenz rechtfertigt diesen umfassenden Heilsanspruch nicht. Viele der Symptome, mit denen diese Werbung arbeitet, haben oft andere Ursachen – etwa zu wenig Schlaf, Stress oder Bewegungsmangel – und verschwinden nicht automatisch durch mehr Testosteron im Blut.
Wichtig ist deshalb die Unterscheidung zwischen zwei Dingen:
Kurz: Dass der Testosteronwert mit dem Alter sinkt, ist normal und führt zu leichten Veränderungen – die vielfach vermarktete Hoffnung auf das Hormon als Allheilmittel ist dagegen nur Illusion.
Warum passiert das dann? Weil die Gleichung «Müdigkeit = Testosteronmangel» überall kursiert – in Ratgebern, Social Media, Fitnesswerbung. Aber: Nur ein kleiner Teil der Männer erfüllt wirklich die medizinischen Kriterien für einen Testosteronmangel (min. zweimal gemessene Werte unter 300 ng/dl UND deutliche Symptome).
Ein bisschen weniger Energie ist noch lange kein medizinischer Notfall. Nur bei dauerhaft niedrigen Morgenwerten und klaren Symptomen wie Libidoverlust oder Muskelabbau kommt eine Hormontherapie überhaupt infrage. Und selbst dann gilt: Besprich dich unbedingt dazu mit einem Arzt oder einer Ärztin.
Das gilt auch für Selbsttest-Kits, wie wir sie im Shop haben: Sie können höchstens eine erste Orientierung geben, sind unter Fachpersonen aufgrund ihrer Fehleranfälligkeit aber umstritten.
Die gute Nachricht aus der Wissenschaft: Bei fast allen Symptomen, die gerne dem angeblichen Testosteronmangel in die Schuhe geschoben werden, helfen Methoden, die weder teuer noch riskant sind. Simple Gesundheitsroutinen sind die wirklich effektiven natürlichen Booster:
Mehr Bewegung, besonders Krafttraining: Regelmäßiges Training steigert langfristig die natürliche Testosteronproduktion, sorgt für bessere Laune – und ganz nebenbei für mehr Energie und Muskelsubstanz.
Gesunder Schlaf: Chronischer Schlafmangel kann den Hormonspiegel senken. Wenn du nachts auf sieben bis acht Stunden Schlaf kommst, tust du dem Körper direkt etwas Gutes.
Weniger Stress, bewusster Alltag: Stress blockiert nachweislich die Testosteronproduktion. Kleine Auszeiten, digitale Pausen und gezielter Stressabbau wirken Wunder.
Körpergewicht im Blick: Wenn du Übergewicht reduzierst, kannst du dadurch deine eigene Hormonbalance verbessern. Der Zusammenhang zwischen Körperfettanteil und Testosteron ist wissenschaftlich gut belegt.
Wirklich Sorge, dass mehr dahinterstecken könnte? Dann: Nicht ins Blaue herumprobieren oder gar Präparate auf eigene Faust bestellen. Sondern seriös und nach Plan vorgehen:
Testosteron ist ein faszinierendes Hormon. Aber: Der altersbedingte Rückgang ist weder Katastrophe noch Krankheit – sondern Teil eines ganz normalen Lebenslaufs. Hormontherapien gehören in erfahrene Hände und sind oft schlicht nicht nötig. Und manches darf sich mit zunehmendem Alter auch einfach ändern – ganz ohne repariert werden zu müssen.
Mehr zum Thema im Experteninterview:
Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.
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Alle anzeigenWahr ist: Ab etwa 40 Jahren fällt der Testosteronspiegel jedes Jahr ein kleines Stückchen, ca. ein bis zwei Prozent – das ist völlig normal und kein Grund zur Panik. Typische Veränderungen wie etwas weniger Energie, mehr Müdigkeit oder eine Libido, die nicht mehr ganz so spontan anspringt, werden dann häufig direkt auf das weniger werdende Männerhormon geschoben. Wissenschaftlich belegt ist: Testosteron beeinflusst tatsächlich Muskelmasse, Knochendichte und sexuelles Verlangen. Wie spürbar das wirklich ist, hängt aber stark davon ab, wie aktiv du lebst, wie du schläfst und was dich im Alltag fordert.
Ein Blick über den Atlantik zeigt, wie rasant sich das Thema zum Geschäft entwickelt hat: In den USA stiegen die Verschreibungen für Testosteron-Präparate bei Männern über 40 massiv an. Das Problem dabei: In jedem vierten Fall wurde der Testosteronwert vor der Verschreibung nicht einmal geprüft. Das ist, als würde die Werkstatt den Motor deines Autos austauschen, nur weil es ein bestimmtes Alter erreicht hat, ohne überhaupt unter die Haube zu schauen.
Diagnostizierst du dich selbst mit Unterstützung von Chat GPT, «Dr. Google» oder Influencer-Ratschlägen, ist die Gefahr groß, in die Vermarktungsfalle zu tappen. Gerade weil Testosteronpräparate ernsthafte Nebenwirkungen haben können – etwa ein höheres Risiko für Herzinfarkt, Infertilität oder Schlafprobleme – kann das im Zweifel sogar gefährlich werden.