
Meinung
«Wer hat Emmas Finken?»: Höchststrafe Eltern-Chatgruppen
von Katja Fischer
Es ist wieder Alltag, aber anders. Nach den Schulferien haben die Kinder einen neuen Plan – und wir als Familie noch keinen. Gar nicht so einfach, sich einmal im Jahr komplett neu zu organisieren.
«Was machst du hier?» Mal wieder steht ein Kind vor der Tür, mit dem ich nicht gerechnet habe. Gut, es ist meines. Und es wohnt hier. Aber jetzt, um 8:17 Uhr, sollte es eigentlich schon in der Schule sein. «Turnsack vergessen», keucht mein Sohn mir entgegen. Das kann passieren. Freitags stand bislang nie Sport auf dem Stundenplan. Ausserdem mussten 30 Cakepops zur nachträglichen Geburtstagsfeier ins Klassenzimmer balanciert werden.
Doch dass die Feste in den Ferien nicht gefeiert werden können, wie sie fallen, ist nicht der einzige Grund dafür, warum wir momentan zurück in den Alltag stolpern. Korrigiere: in einen neuen Alltag. Den Alltag, wie wir ihn kennen, gibt es nicht mehr. Nichts ist so alt wie Gewohnheiten aus dem vergangenen Schuljahr. Nun ist alles anders – und nicht nur mir fällt es schwer, mich darauf einzustellen. Mit wem ich auch rede, alle Familien sind gerade in der Findungsphase. Das kannst du durchaus wörtlich nehmen.
Viele nun relevante Infos sind in Mailboxen und Chats vergraben, die vor vielen Wochen verschickt wurden, als die Zeit nach den Sommerferien in kaum vorstellbarer Ferne lag. Zum Ende des Schuljahres stauen sich Feste, Verabschiedungen und Vorführungen, wie sonst nur Autos am Gotthard. Der nächste Apéro-Beitrag ist stets der wichtigste, alle strampeln dem Ende des Ausnahmezustands entgegen. Wen interessieren da schon Stundenpläne, Kennenlerntermine und Bücherbestelllisten fürs nächste Schuljahr?
Die Zeit vor den Ferien mit ihren Ausflügen, geänderten Unterrichtszeiten und Zusatzterminen ist ein kleiner Vorgeschmack auf das, was danach kommt. Alles ist später oder früher, häufiger oder gar nicht mehr. Die Informationen dazu wurden verschickt (oder auch nicht), zu unterschreibende Formulare wurden hochgeladen (oder auch nicht), Unterrichtszeiten und Hobbys ergänzen sich zeitlich wunderbar (oder auch nicht). Es ist ein grosses Puzzle, bei dem sich erst nach und nach zeigt, ob es überhaupt ein stimmiges Gesamtbild ergeben kann.
Bis Ende Juni waren wir wunderbar aufeinander eingespielt. Ich wusste, wer wann läutet, bis wann die Sportsachen gewaschen sein müssen und welche Tage die Kinder besonders stressen. Ich konnte mich auf Frust und Freude einstellen und war nicht nur mental vorbereitet. Es standen Wasserflaschen und Snacks parat, wenn sie gebraucht wurden. Bis wir wieder an diesem schönen Punkt sind, tasten wir uns gemeinsam durch die neu strukturierten Tage, bis sie irgendwann zum Alltag werden.
Bis wieder klar ist, wer wann wo ist. Und wer wann wo isst. Ein Thema, das aufgrund einer weitverbreiteten Abneigung gegen das Hortessen mit befreundeten Familien geregelt wird.
In den ersten Tagen läuft es so: Mein Sohn fragt mittags erstaunt, warum heute vier Teller auf dem Tisch stehen. Meine Tochter hetzt anderthalb Stunden zu früh zum Training. Nachdem ich es geschafft habe, ihr den gleich gebliebenen Termin zu bestätigen, aber die neue Anfangszeit zu übersehen. Immerhin kam der Regen, in dem ich sie nicht nur sprichwörtlich stehen liess, pünktlich. Das sind Anfängerfehler, die sich nach der ersten Woche erledigt haben. Andere Veränderungen wiegen schwerer – und lassen sich nur bedingt beeinflussen.
Denn manches hat selbst die organisierteste Familie nicht in der eigenen Hand. Klasseneinteilungen und Sitzpläne können Freundschaften fördern oder erschweren, weil sich die Kinder durch neu entstandene Gruppen auseinanderleben. Lehrpersonen können motivieren oder frustrieren. Neue Fächer Interesse entfachen oder Probleme machen. Wie sich dieser Alltag anfühlt, zeigt sich erst mit der Zeit. Wochenpläne mögen auf dem Papier funktionieren, aber in der Praxis scheitern.
Ein weiterer Punkt, der jedes Jahr aufs Neue austariert werden muss: Je älter die Kinder werden, desto stärker sollten sie sich selbst organisieren. Und wollen das in der Regel auch. Einerseits wird dadurch manches einfacher, weil nicht alles bei den Eltern abgeladen wird.
Bei Einführungsveranstaltungen heisst es für mich nur noch: mitkommen, Informationen aufsaugen und irgendwie versuchen, nicht unangenehm aufzufallen. «Zumindest atmen darf ich noch», seufzt eine befreundete Mutter, deren Tochter ihr eingeschärft hatte: «Bloss nichts fragen!» Ich lächle und nicke stumm. Interessiert gucken, in der Ecke stehen, das bekomme ich hin. Und es ist okay, als Elternteil immer weiter in den Hintergrund zu rücken.
Ich muss auf Elternabenden keine Zeichnungen mehr kommentieren und der versammelten Runde erklären, warum die vier Bleistiftstriche auf dem Blatt unsere Familie darstellen sollen. Ich bin nicht mehr für jeden korrekt gepackten Turnsack verantwortlich. Andererseits werden die schulischen Herausforderungen grösser, was auch grösseren Stress auslösen kann, der abgefedert werden muss.
Der Zeitplan wird immer gedrängter, weshalb mehr Organisation gefragt ist. Die Elternrolle bewegt sich nun irgendwo zwischen Seelsorge und IT-Support. Und in letzterer frage ich mich, wo sich die Infos am besten zusammenführen lassen, die teils die Kinder, teils uns Eltern erreichen – und die ich an allen möglichen und unmöglichen Orten finde.
Unter Papierstapeln auf dem Schreibtisch, zerknittert im Thek, in der Schul-App Klapp, neuerdings in geteilten Foldern und Teams, in Whatsapp- oder Signal-Chats, per E-Mail oder Brieftaube. Alles ist möglich. Nur nicht, so ein Durcheinander in einem Familienplaner aus Papier zu synchronisieren. Zumindest für mich ist das nichts.
Ein geteilter digitaler Kalender ergibt mehr Sinn, da inzwischen (fast) die ganze Familie in der Smartphone-Welt angekommen ist. Bislang funktioniert das mit Google Calendar und mich treibt lediglich in den Wahnsinn, dass sich nicht alle meiner Farb- und Erinnerungsphilosophie unterordnen. Wer regelmässig Termine nachbearbeitet, oft keine Ahnung hat, was ein Eintrag bedeuten soll oder zigmal am Tag an Dinge erinnert wird, die nur andere etwas angehen, weiss, wovon ich rede.
Je voller der Kalender wird, desto doller kann auf den ersten Blick das Chaos sein. Deshalb schiele ich auf Familien-Apps wie Shubidu oder Familywall und frage mich, ob sie die Alltagsplanung wirklich vereinfachen oder einfach noch ein Kanal mehr sind, der mit Infos gefüttert werden muss.
Wie behaltet ihr alle Termine im Blick?
Mich tröstet ein Gedanke über die schwierigen ersten Wochen hinweg: Die meisten Termine werden schon bald zur Routine, dann läuft die Familie rund wie ein Uhrwerk. Ein Rädchen greift ins andere, ab und zu ziehen wir einander auf. Weiter will ich noch nicht denken. Denn spätestens in zehn Monaten, wenn der Schuljahresendspurt ansteht, ticken wieder alle aus.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.