
Hintergrund
Darum bremst dein E-Bike dich nicht – auch wenn es sich vielleicht so anfühlt
von Martin Jungfer
Das Revonte ONE Drive System gibt den Herstellern die Macht über das Setup. Der Motor mit stufenlosem Automatikgetriebe lässt sich individuell konfigurieren. Eine Branchengrösse fährt schon mal darauf ab.
Das E-Bike der Zukunft versprechen viele. Einige Modelle sehen futuristisch aus, doch beim Herzstück bleibt meist alles beim Alten. Die Motoren werden kleiner, leichter und effizienter, aber im Prinzip sind sie seit Jahren gleich. Natürlich haben einige Unternehmen erkannt, dass in der Antriebseinheit noch Potenzial steckt. Kervelo kombiniert im Quartz Drive den Motor mit einem Vier-, Sechs- oder Zwölfganggetriebe. Und Continental hat gemeinsam mit NuVinci im Modell «48V Revolution» den Antrieb mit einem stufenlosen Planetengetriebe zusammengefügt. Es war der erste Versuch dieser Art, doch revolutioniert hat er die Szene nicht. Continental zieht sich aus dem Markt wieder zurück.
Das finnische Start-up Revonte will erfolgreicher sein. Dass die Technik nicht komplett neu erfunden ist, sehen die Macher als Vorteil. Sie tun nicht mal so, als wäre dieser Teil ihres Produkts besonders innovativ. Das Prinzip ihrer Automatik sei nur ein Planetengetriebe mit zwei Elektromotoren, mechanisch robust und zuverlässig. Im Autobau sind solche CVT-Getriebe («Continuously Variable Transmission») weit verbreitet. Der eigentliche Trumpf von Revonte soll die Software sein, die das System steuert. Darüber kann das Motor- und Schaltverhalten auf das jeweilige Bike abgestimmt werden. Deshalb heisst es schlicht und einfach ONE Drive System. Eines für alle Fälle. Für City-Bikes und Tourenräder, Cargo- oder Mountainbikes. Die gesamte Antriebseinheit ist mit 4.7 Kilo relativ leicht und kompakt.
Die Bikes zur Antriebseinheit dürfen andere bauen. Und das Interesse daran ist gross, denn die Hersteller bekommen die volle Kontrolle über das Fahrverhalten ihrer Modelle zurück. Revonte argumentiert, dass viele E-Bike-Käufer nach einem bestimmten Motor fragen und dem eigentlichen Velo wenig Beachtung schenken. Statt einen Motor von Bosch oder Yamaha zu verwenden, können die Bike-Bauer das Drive System nach eigenen Vorstellungen konfigurieren.
Die Marken Lavelle Bikes und Tunturi sind bereits dabei, mit dem Revonte ONE ausgestattete Modelle auf die Strasse zu bringen. Spätestens 2021 soll es soweit sein. Tunturi ist in der Schweiz vor allem für Fitnessgeräte bekannt, in Finnland aber auch eine etablierte Bike-Marke. Sie ist Teil der Accell Group, zu der unter anderem Marken wie Ghost und Haibike gehören. Also alles andere als ein Nischenhersteller. Die Gruppe ist europaweit Marktführer. Wenn sich das Drive System bei Tunturi bewährt, ist der Schritt auf den Massenmarkt realistisch.
Revonte verspricht einen starken Motor und eine komfortable Automatik, die die Suche nach dem passenden Gang überflüssig macht. Auf einem Rundum-sorglos-Bike fährst du ohne Schaltpausen immer mit deiner bevorzugten Trittfrequenz und musst dich um nichts weiter kümmern. Die Software lernt anhand deines Fahrverhaltens stetig dazu. Wenn du mehr Kontrolle willst, lässt sich das System auch halbautomatisch über einen Schalter am Lenker bedienen. Die Abstufung und die Anzahl der virtuellen Gänge kannst du über die App in dem Rahmen konfigurieren, den der jeweilige Velohersteller dir zugesteht. Revonte öffnet die Schnittstellen und lässt seinen Kunden weitgehend freie Hand, was die Umsetzung angeht. Bis zu 20 Gänge sollen möglich sein. Genug, um E-Mountainbikes von der Kettenschaltung zu befreien und den Zahnriemenantrieb in diesem Segment attraktiv zu machen.
Funktionen wie ein elektronischer Diebstahlschutz oder Wartungshinweise sollen das Veloleben noch leichter machen. 4G, Bluetooth, Wifi, GPS und eine kleine Backup-Batterie sorgen dafür, dass das System jederzeit läuft und kommunizieren kann. Die Versprechen sind verlockend: Die Hersteller haben alle Möglichkeiten, das System auf ihre Bikes abzustimmen. Dein Velo passt sich dir an. Und wenn dir etwas nicht passt, änderst du es einfach. Ob Revonte ONE das System für alle Fälle ist, wird sich zeigen. Zukunftsweisend ist das Konzept definitiv.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.