Zelten auf dem Bauernhof: Ist das noch Wildcamping?
Hintergrund

Zelten auf dem Bauernhof: Ist das noch Wildcamping?

Jeder, der schon einmal mit dem Zelt durch Skandinavien gereist ist, liebt es: das Jedermannsrecht. Es erlaubt dir, (fast) überall zu campen. Bislang ging das in Österreich nicht. Doch nun gibt es eine legale Alternative zum Wildcampen. Ich packe mein Zelt ein und probiere das Angebot aus.

Wilde Fjorde, tiefe Wälder, klare Nächte unter dem Sternenhimmel. Unberührte Natur, die für alle da ist: In Skandinavien schlagen die Herzen von Naturliebhabern und Wildcamperinnen höher. Dort darf man das mobile Zelt-Zuhause fast überall in der freien Natur aufstellen. Das sogenannte Jedermannsrecht macht es möglich. Dass man die Natur achtet und keinen Müll zurücklässt, versteht sich dabei von selbst. Auch mich verschlägt es vor einigen Jahren mit meinem Zelt in das Mekka der Wildcamper:innen. Ich bekomme Lust auf mehr, zuhause in Österreich weicht meine Begeisterung aber schnell der ernüchternden Gesetzeslage.

Wenn Skandinavien das Mekka der Wildcamper:innen ist, ist Österreich ihr Finanzamt. Spontanität und Abenteuersinn werden hier in einem Netzwerk aus Campinggesetzen erstickt, der Urlaub gleicht einem Behördengang. Wer in Österreich außerhalb akribisch eingezäunter Campingplätze sein Zelt aufschlägt, bezahlt eine hohe Strafe (Wie das in der Schweiz und in Deutschland aussieht, liest du ganz unten im Text).

Weil ich nicht jedes Mal für einen Ausflug mit meinem Zelt nach Schweden reisen kann, suche ich nach legalen Alternativen zum Wildcampen in Österreich. Ich finde die Plattform «Schau aufs Land». Wer über die App bucht, darf für 24 Stunden auf privaten Stellplätzen übernachten, die von landwirtschaftlichen Betrieben zur Verfügung gestellt werden. Bis zu 500 Partnerbetriebe und 1000 naturnahe Stellplätze gibt es bereits in Österreich und Slowenien. Ich bin interessiert. Mit meinem Zelt im Gepäck und vielen offenen Fragen mache ich mich auf den Weg und probiere das Angebot aus. Kann das Projekt einer Campingreise durch Skandinavien das Wasser reichen? Und vor allem interessiert mich: Gibt es einen Haken?

«Schau aufs Land»: Die Idee hinter der Plattform

Leonard Röser ist wie ich begeisterter Camper, Reisender und Gründer von «Schau aufs Land». Anstatt das mangelnde Angebot im eigenen Land zu beklagen, nutzt er vor ein paar Jahren seine Leidenschaft dazu, über reale Alternativen nachzudenken. «Die Nachfrage nach idyllischen, ruhigen und naturnahen Stellplätzen ist in den letzten Jahren stark gestiegen», erzählt er im Gespräch via Zoom.

Das Potenzial bleibt nicht lange ungenutzt. Der Umweltwissenschaftler Leonard besucht 2019 ein Start-up-Workshop in Graz. In ihm schlummert bereits die Idee einer Wildcamping-Plattform für Österreich. Er hofft, sie im kreativen Austausch im Workshop weiterzuentwickeln. In seinem Team sitzt damals Karin Gruber-Steffner. Die Grafikdesignerin will eigentlich nur zuhören und mehr über Start-ups lernen. Stattdessen ist sie so begeistert von Leonards Idee, dass sie spontan beschließt, diese mit ihm in die Realität umzusetzen. Zuhause erzählt Karin ihrem Ehemann Christian davon, und er schließt sich dem Gründungsteam als Multimedia-Designer an. Das Trio gründet noch in demselben Jahr die Plattform «Schau aufs Land», deren App-Version im Juni 2020 online geht.

Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können: «Corona hat dem Thema Reisen im eigenen Land natürlich großen Aufwind gebracht. Dementsprechend ist die Öffentlichkeit stark auf uns aufmerksam geworden», erzählt Leonard. Bis jetzt, im Sommer 2022, haben sie 10 000 App-Downloads zu verzeichnen – und von 2021 auf 2022 wurden 60 Prozent der Mitgliedschaften verlängert.

Ich bin überzeugt und downloade die App. Auf den ersten Blick wirkt alles sehr solide, aber auch ein wenig kompliziert. Um Mitglied zu werden, soll ich einen Jahresbeitrag von 39 Euro bezahlen und mir dann einen Verhaltenskodex durchlesen. So darf ich nicht ohne Ankündigung anreisen, soll mich an die Regeln des Hofes halten und verantwortungsbewusst mit der Natur und dem Eigentum der Landwirtinnen und Landwirte umgehen. Der Kodex sei der Grund für das Mitgliedersystem, sagt der Gründer. «Mitglieder sind Teil eines Konstrukts mit Regeln. Wer sich nicht an die Regeln hält, dem können wir im Notfall auch die Mitgliedschaft entziehen.»

Ein Einkauf im Hofladen ist eine übliche Art, sich für einen Stellplatz zu bedanken.
Ein Einkauf im Hofladen ist eine übliche Art, sich für einen Stellplatz zu bedanken.

Das ganze Konzept funktioniere nur bei gegenseitiger Wertschätzung, sagt Leonard. Darum ist die wichtigste Anregung in Verhaltenskodex, sich bei den Gastgeberinnen und Gastgebern für den gratis Stellplatz erkenntlich zu zeigen. Wie, das bleibt dir selbst überlassen. Ein Besuch im Hofladen oder eine Futtermittelspende sind zwei beliebte Möglichkeiten. «Uns geht es nur darum, dass man irgendetwas zurückgibt.»

Dem Gründerteam geht es tatsächlich um mehr als um legales Wildcampen: Das Angebot soll nachhaltiges Reisen in der eigenen Region fördern und zugleich der Entfremdung von Mensch und Landwirtschaft entgegenwirken. «Wir wollen wieder mehr Menschen mit Bauern und Bäuerinnen in Kontakt bringen, den Austausch fördern und mehr Bewusstsein für den Wert einer nachhaltigen Landwirtschaft schaffen.»

Von der Theorie zur Praxis: Ich packe mein Zelt und fahre los

In der Theorie hat mich das Projekt überzeugt. Ich bin aber skeptisch, ob die vielen sozialen Konventionen und Verhaltensregeln meinen Aufenthalt verkomplizieren und meine Auffassung von Wildcamping zu sehr verbiegen. Ich werde Mitglied und probiere es aus.

In der Handy-App habe ich jetzt Zugriff auf die interaktive Karte und suche mir meinen Stellplatz für die Nacht aus. 500 kleine Traktor-Icons, die verfügbare Partnerbetriebe darstellen, strahlen mich an. Ich tippe auf ein Icon und lese mir vorab etwas über den Hof meiner Wahl durch: Der Biohof mit Wein-, Acker- und Obstbau nördlich von Wien bietet Stellplätze für Zelte, Anhänger oder Wohnmobile. Die Fotos sehen nett aus, darum überlege ich nicht lange und kontaktiere die Gastgeberin.

Meine anfängliche Befürchtung, das Regelwerk an sozialen Konventionen könnte meinem Ausflug die Spontanität nehmen, scheint unbegründet. Damit es zu keinen Buchungen Monate im Voraus kommt, kann ich den Hof sowieso erst zwei Tage vor meiner geplanten Ankunft kontaktieren. Zielgruppe von «Schau aufs Land» sind Menschen, die spontan unterwegs sein wollen. Langfristiges Planen liegt nicht in meiner Natur, also stört es mich gar nicht, dass die App nur so kurzfristige Buchungen zulässt.

Ein ruhiger Nachmittag für sich allein auf den Hügeln über Wien.
Ein ruhiger Nachmittag für sich allein auf den Hügeln über Wien.

Meine Gastgeberin ist sehr flexibel. Eine kurze telefonische Absprache vorab reicht aus, bevor ich auf ihrem Hof ankomme. Der Betrieb liegt im Weinviertel nördlich von Wien. Die Straßen sind eng und schlängeln sich um die liebliche Hügellandschaft, weite Felder werden nur kurz von kleinen Dörfern unterbrochen, und die Finger des Wiener Waldes greifen fast nahtlos in die Grenzen der Stadt. Ich fahre Kurve um Kurve, bis ich in Manhartsbrunn ankomme, wo mich die Gastgeberin bereits vor ihrem Hofladen in Empfang nimmt.

Das Grundstück, auf dem ich die Nacht verbringen darf, liegt auf einem Hügel wenige Minuten von dem Hofladen entfernt. Frau Stich fährt mit dem Rad voraus, ich folge ihr langsam mit meinem Auto. Neben einem kleinen Weinkeller, von dem nur das kleine Dach über den Boden ragt, sind wir am Ziel. Auf der Wiese neben dem Keller darf ich mein Auto ab- und mein Zelt aufstellen. Ich werfe einen Blick über die Wiese, wo sich Wien wie eine Pop-Up-Karte vor meinen Augen ausbreitet. Ich sehe über die ganze Stadt und weiter bis ins Burgenland. Es ist traumhaft schön.

Ein Abend über den Dächern Wiens

Familie Stich ist von Anfang an bei «Schau aufs Land» dabei – aus Überzeugung, wie sie mir erzählt. Den Betrieb der Familie haben schon vor einiger Zeit die beiden Söhne übernommen. Nachdem Hitzewellen und Sommerdürre die Anbaubedingungen immer schwerer gemacht hatten, wollte die Elterngeneration den Betrieb eigentlich schon dicht machen. «Ohne unsere Söhne hätten wir die Landwirtschaft schon lange aufgegeben. Es machte einfach keinen Spaß mehr», sagt Frau Stich.

Wenige Kilometer von der Grossstadt Wien kann die Welt so ruhig und ländlich sein.
Wenige Kilometer von der Grossstadt Wien kann die Welt so ruhig und ländlich sein.

Doch die beiden Söhne brennen für die Landwirtschaft der Eltern und für das Projekt «Schau aufs Land». Über die Plattform hat der Betrieb regelmäßig Gäste, besonders in den Sommermonaten. Das hätte auch wirtschaftliche Vorteile für die Landwirtschaft: Im Durchschnitt kaufen die Leute für 10 Euro im Hofladen ein und zeigen sich so für den Schlafplatz erkenntlich. Das ist besonders in strukturschwachen Gegenden ein wichtiger Benefit, den Partnerbetriebe durch die Plattform bekommen. Für die Höfe ist die Anmeldung bei «Schau aufs Land» übrigens kostenlos.

Bei Biohof Stich sind vor allem Leute aus Wien zu Gast, die abends die schöne Aussicht bei einer Flasche Wein genießen und vor Tagesanbruch das Grundstück wieder verlassen. Ein Pendler aus dem Burgenland komme dagegen jede Woche, um eine Nacht in seinem Kombi auf dem Feld der Familie zu verbringen.

Auch ich bin fasziniert von der Aussicht. Die weichen Hügel, die Sonnenblumenfelder, die Stadt zu meinen Füßen machen mich kurz sprachlos. Als die Dämmerung einbricht, beginnt das lichtdurchflutete Wien unter mir zu strahlen. Ich versuche, meine Wohnung zwischen den spielfigurgroßen Hochhäusern zu finden (erfolglos) und ziehe mich dann in mein Zelt zurück. Weil es schon in den Morgenstunden sehr heiß wird, stehe ich früh auf, packe mein Zelt ein und verabschiede mich von diesem besonderen Flecken Erde.

Bevor ich fahre, schau ich aber noch bei Frau Stich im Hofladen vorbei. Ich kaufe Zucchini, Kartoffeln, Säfte, Öle und einen guten Wein und lasse insgesamt 60 Euro in der kleinen Kasse der Selbstbedienungstheke. Ich finde das angebracht. Für den Stellplatz, für die schöne Erfahrung, aber auch als Ermutigung für die Ambition, den Hof weiterhin am Leben zu erhalten. Ich verabschiede mich von der Familie, hole mir noch ein Frühstück beim Bäcker nebenan und fahre durch die diesige Morgenstimmung zurück in die überhitzte Stadt.

Bei einer solchen Auswahl lohnt es sich, schon mal grosszügig zu investieren.
Bei einer solchen Auswahl lohnt es sich, schon mal grosszügig zu investieren.

Soziale Konventionen und Verhaltensregeln – ist das noch Wildcamping?

Meine anfängliche Skepsis ist unbegründet geblieben. «Schau aufs Land» ist zwar Wildcampen der etwas anderen Art, aber näher an eine Reise durch Skandinavien kommt man hier in Österreich wohl nicht. Weil es so viele Partnerbetriebe gibt, hat man in jedem Bundesland unzählige Möglichkeiten, quasi gratis im Freien zu übernachten. Plus: die kurzfristige Buchung wahrt für meinen Geschmack genug Spontanität und Abenteuergeist. Die Menschen hinter den Betrieben kennenzulernen, ist zwar jedermanns Sache. Ich persönlich fand den Austausch aber wirklich schön und freue mich über viele weitere Menschen, die ich sonst nie getroffen und noch unbekannte Orte, die ich sonst nie gesehen hätte.

Gut, Skandinavien bleibt für mich weiterhin der unangefochtene Wildcamping-Sieger. Doch «Schau aufs Land» war für mich eine Erfahrung auf einer anderen Ebene. Darauf komme ich bestimmt in Zukunft zurück, wenn mich wieder die Sehnsucht nach Natur und Abenteuer packt. Diesem Gefühl ohne großem Planungsaufwand nachzugeben, ohne stundenlanges Fahren gen Norden: Das ist jetzt auch unweit meiner Wiener Stadtwohnung möglich. Ein Stück Freiheit, zum Greifen nahe.

Schweiz

Wildcampen ist hier nicht per se verboten. Laut Zivilgesetzbuch sind Wald und Wiese jedermann zugänglich, auch für ein oder zwei Übernachtungen. Aber: Es gibt zahlreiche Einschränkungen, die je nach Kanton unterschiedlich ausfallen. Gewisse Schutzgebiete wie Nationalparks, eidgenössische Jagdgebiete, Wildruhezonen oder Naturschutzgebiete sind vom Schweizer Jedermannsrecht ausgenommen. Eine Übernachtung in den Bergen oberhalb der Waldgrenze mit einer kleinen Personengruppe ist aber unproblematisch. Hier kannst du dich über geltende Regeln informieren: im Merkblatt des Schweizer Alpenclubs sowie mit den Infos übers Campen und Biwakieren.

Deutschland

Auch in Deutschland sind die Wildcamping-Regeln von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Grundsätzlich gibt es laut Bundesnaturschutzgesetz ein Betretungsrecht, das das «Betreten der freien Landschaft auf Straßen und Wegen sowie auf ungenützten Grundflächen zum Zweck der Erholung» erlaubt – von Zelten ist dabei aber nicht die Rede. Naturschutzgebiete, Nationalparks, Landschaftsschutzgebiete, die Küstenbereiche und Wälder sind vom Wildcampen sowieso strikt ausgenommen. Wer es ganz genau wissen will, muss sich mit dem Naturschutz- und Waldgesetzen in jedem Bundesland auseinandersetzen: Hier gibt es einen Überblick über die Rechtslage der einzelnen Bundesländer. Tipp: Eine Alternative zum Wildcampen stellen in ganz Deutschland die sogenannten Trekkingplätze dar.

29 Personen gefällt dieser Artikel


User AvatarUser Avatar
Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar