Im Ausland sind viele Papis ohne Velohelm unterwegs
Meinung

Im Ausland sind viele Papis ohne Velohelm unterwegs

Martin Rupf
1.5.2022

Kürzlich habe ich mich als nicht Velohelm tragender Vater geoutet und musste hierfür ordentlich Prügel einstecken. Zurecht? Ein Augenschein im Ausland.

Ich nehme mir die Freiheit heraus, auf Velotouren mit meinen Kindern keinen Velohelm zu tragen. Als ich dies genau vor einem Monat hier publizierte, ging es mir nicht, wie von vielen Leserinnen und Lesern unterstellt, um Provokation. Ich wollte lediglich das Thema Vorbildsein und den elterlichen Umgang mit Regeln und Verhaltensnormen beleuchten.

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    Deshalb trag ich als Papi auf der Velotour keinen Helm

    von Martin Rupf

Natürlich hatte ich ein paar Reaktionen auf mein Outing erwartet. Und doch war ich von euren über 500 Kommentaren und vor allem von deren teils heftiger Note überrascht. Gefühlt 95 Prozent der Kommentierenden prangerten mein Verhalten als verantwortungslos an. So schrieb etwa User «shy_lachi»: «Eine Kopfverletzung, auch bei einem unverschuldeten Unfall, ist eine krasse Belastung für eine Familie. Wenn man keinen Helm trägt, zwingt man also der ganzen Familie dieses Risiko auf.» Oder «the-firefighter»: «Du schreibst so einen Schmarrn zusammen und meinst, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben.» Oder immerhin mit einer Prise Humor «Jason R»: «Ganz einfach: Wer was Schützenswertes hat, der trägt Helm.» Sogar meine Redaktionskollegin Katja Fischer, selber Mutter zweier Kinder, sah sich genötigt, mir in ihrer Replik die Leviten zu lesen.

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    Die Spassbremse sagt: Vater, setz dir einen Helm auf!

    von Katja Fischer

Nur ganz vereinzelt stiess mein «Plädoyer für mehr elterlichen Ungehorsam» auf Verständnis. So meinte etwa «mjakopp»: «Wer versucht seine Kinder in Watte zu packen, wird sie später umso härter aufschlagen sehen.» Oder «Lagi82» schrieb: «Ist schon krass, wenn man ohne Helm zum Dorflädeli fährt, wird man in dieser Kommentarspalte gleich als Todeskandidat gehandelt. Das macht mir persönlich mehr Angst.»

In meinem Umfeld bin ich nicht bekannt dafür, meine Meinung wie ein Fähnchen im Wind zu ändern. Aber die zahlreichen Rückmeldungen haben mich ins Grübeln gebracht. Liege ich mit meiner Einstellung womöglich doch falsch. Oder könnte es gerade auch andersrum sein. Dass ich ein vernünftiges Mass an Vorsicht an den Tag lege, dies aber für die durchschnittlichen Herr und Frau Schweizer nicht genügend vorbildlich, ja geradezu fahrlässig ist?

Kind ohne Helm sitzt vorne auf dem Lenkstangen-Kindersitz

Kürzlich fuhr ich mit meiner Familie in die Ferien . Über Rotterdam ging es später nach England. Schon nach wenigen Minuten fiel mir in der holländischen Hafenstadt auf, dass fast alle Velofahrerinnen und -fahrer ohne Helm durch die Strassen radelten.

In Rotterdam habe ich während zweier Tage fast keine Velofahrer:innen mit Helm gesehen.
In Rotterdam habe ich während zweier Tage fast keine Velofahrer:innen mit Helm gesehen.

Unweigerlich musste ich an meinen Artikel und die Reaktionen darauf denken. Und ich gebe es zu: Eine ganz kleine, wohlige Genugtuung machte sich in mir breit. «Ach, könnten doch alle Kritiker sehen, wie unvernünftig die Menschen hier auf ihren Zweirädern unterwegs sind.» Das i-Tüpfelchen bildete schliesslich eine helmlose Mutter, die mit ihrem Kleinkind – ebenfalls ohne Helm – unterwegs war. Damit nicht genug: Das Kind sass auf einem auf der Lenkstange montierten Kindersitz. Würde die Mutter also stürzen, würde ihr Kind quasi als menschlicher Airbag fungieren. Das ging dann selbst für meinen Geschmack zu weit. So bin ich mit meinen Kindern (glaubs) nie rumgefahren. Leider hatte uns die Mutter schon passiert, ehe ich einen Schnappschuss machen konnte. Aber spätestens jetzt war mir klar, dass ich meine Eindrücke mit der Galaxus-Community teilen wollte, nein musste.

Dies umso mehr, als ich es genoss, in Rotterdam so radeln zu dürfen, wie es mir passt, ohne von allen Seiten schräg angeschaut zu werden. Denn während zweier Tage mietete ich ein Cargo-Bike, in das ich meine Kinder – ohne Helm –setzte.

Meine Kinder genossen die Fahr durch Rotterdam im Cargobike  – immerhin mit Mütze auf.
Meine Kinder genossen die Fahr durch Rotterdam im Cargobike – immerhin mit Mütze auf.

Ich selber wie auch meine Frau auf einem separaten Velo trugen keinen Helm. Wir wollten ja schliesslich nicht als spiessige Touristen aus der Schweiz auffallen oder schlimmstenfalls gar die Gepflogenheiten unserer Gastgeber mit Füssen treten. Auf unseren Touren durch die Stadt konnte man die Velofahrer:innen mit Helm denn auch an einer Hand abzählen.

Separate Radspuren sorgen für erhöhte Sicherheit

Fairerweise sei hier erwähnt, dass Rotterdam – gerade auch verglichen mit einer Stadt wie Zürich – ein Eldorado für Velofahrer:innen ist. Überall gibt es separate Velospuren und separate Ampeln. So kann es gut vorkommen, dass Autos mal etwas länger halten müssen, damit sich der Velofahrer-Tross ungestört in Bewegung setzen kann. Kein Vergleich etwa zu Zürich, wo ich mich als Velofahrer manchmal etwa so sicher fühle, wie eine Katze in einem Hundezwinger. Zudem gibt es in Rotterdam kaum Gefälle, weshalb die Velos – Elektrobikes sind kaum anzutreffen – mit moderatem Tempo unterwegs sind. Zusammengefasst: Das Risiko, dass es zu einem Zusammenstoss zwischen Zwei- und Vierrädern kommt, ist vergleichsweise klein.

Ähnlich verhält es sich übrigens in Kopenhagen, der Geburtsstadt meiner Mutter. Auch hier siehst du Haufenweise Velofahrer:innen ohne Helm – und das in einer Millionenstadt mit viel Auto- und Busverkehr. Und wie in Rotterdam wird es auch in der dänischen Hauptstadt daran liegen, dass dem Veloverkehr die gleiche, wenn nicht gar höhere Priorität eingeräumt wird.

Auch in Kopenhagen sieht man haufenweise Velofahrer:innen ohne Helm.
Auch in Kopenhagen sieht man haufenweise Velofahrer:innen ohne Helm.
Quelle: Shutterstock

So weit, so gut. Doch wie verhält es sich mit dem Helmtragen im weniger Velo verrückten England? Nach knapp einer Woche sowohl auf dem Land – dort gibt es praktisch keine Velofahrer:innen – wie auch in städtischen Gebieten, kann ich festhalten: Etwa die Hälfte war mit Helm unterwegs. Deutlich mehr als in Rotterdam.

Rund die Hälfte aller Velofahrer:innen, die ich in England sah, hatte keinen Helm auf.
Rund die Hälfte aller Velofahrer:innen, die ich in England sah, hatte keinen Helm auf.
Quelle: Shutterstock

Aber auch in England scheint es die Spezies verantwortungsloser Erziehungsberechtigter zu geben. So durfte ich in der kleinen Hafenstadt Margate ein Foto von Paul machen, der seine Tochter Nellie Bee auf dem Velo herum chauffierte – wenigstens sie mit Helm. Als ich ihn fragte, ob ich ein Foto machen dürfe für einen Folgeartikel auf mein «Nicht-Helmtragen-Outing», hat er nur gelacht und genickt. Ob das Lachen meiner Frage oder vielmehr dem Umstand geschuldet war, dass sich hierzulande so viele Menschen über einen nicht Helm tragenden Vater echauffieren können, bleibt sein Geheimnis.

Paul fährt mit seiner Tochter Nellie Bee durch Margate – wenigstens sie mit Helm.
Paul fährt mit seiner Tochter Nellie Bee durch Margate – wenigstens sie mit Helm.

Fazit meiner Feldstudie im Ausland: Beim Thema Helmtragen gibt es nicht DIE eine richtige Einstellung oder DAS eine richtige Verhalten. Vielmehr hängt der Entscheid vom objektiven Risiko ab – also konkret der Infrastruktur für den Zweiradverkehr – und letztlich natürlich auch vom subjektiven Sicherheitsempfinden. In diesem Sinn: Ob mit oder ohne Helm, fährt mit Köpfchen.

Titelbild: Shutterstock
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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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