Lelit Victoria
Lelit Victoria: Die Kleine im Test
Klein, schnell aufgeheizt und einfach zu bedienen umschreibt diese Siebträgermaschine. Dabei bietet die «Lelit Victoria» Optionen, die sonst den ganz Grossen vorbehalten sind. Das ist toll, aber überflüssig.
Die «Lelit Victoria» ist widerspenstig, hat ihren eigenen Willen. Mal eben schnell von Kaffee auf Milchschäumer umschalten? Da lässt sich die Dame Zeit. Viel Zeit. Wasser nachfüllen? Der Wassertank ist ein paar Millimeter zu breit. Beim Einsetzen brauchst du ihn daher um die scharfen, hervorstehenden Kanten zu zirkeln. Mal eben kurz am Morgen aufheizen? Dauert laut Lelit fünf Minuten, bei mir waren das eher zehn. Für ungeduldige Menschen mit Hang zu Milchschaum ist die Maschine also eine harte Geduldsprobe. Eine Probe, die sich dennoch lohnt.
So günstig gibt es so viele Features bei einem Siebträger nicht.
Damit ist die «Victoria» der ideale Einstieg in die Welt des Siebträger-Espressos. Lass aber die Finger davon, wenn du auf Latte, Cappuccino oder Schale stehst.
PID: Victorias Secret
Die «Victoria» kann es mit Mitstreiterinnen weit hinter der 1000-Franken-Grenze aufnehmen. Grund ist der (und ja, das habe ich direkt aus Wikipedia kopiert) «Proportional-Integral-Differential-Regler», kurz PID.
Wie genau ein PID funktioniert, bleibt mir trotz mehrerer Youtube-Clips und «Erklärungen für Dummies» unverständlich. Was ich weiss ist, dass der Regler die eingestellte Temperatur viel genauer hält. Herkömmliche Thermostaten haben oft eine Abweichung von mehreren Grad, was bei Kaffee schnell mal den Unterschied zwischen Weltmeister-Espresso und Plörre ausmacht. Die Victoria liefert hingegen konstant die eingestellte Temperatur, solange du nicht zu viele Espressi nacheinander ziehst.
Der Vergleich mit dem Klassiker «Silvia» von Rancilio ist da naheliegend. Beide Maschinen haben einen Boiler mit 0.3 Liter, beides sind Einkreiser, können also entweder Dampf oder Kaffee, aber nicht beides gleichzeitig. Grosser Unterschied ist, dass die «Silvia» von Rancilio von Haus aus keinen PID-Regler hat. Damit ist die Temperatur beim Brühen Glückssache, sie schwankt zwischen 94 und 96 Grad. Die Temperatur lässt sich dabei nicht verstellen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Unter dem sogenannten Temperatur-Surfing der Konkurrentin leidet die getestete Maschine von Lelit kaum. Gradgenau hält sich die Temperatur. Einzig wenn du gleich mehrere Espressi hintereinander ziehst, muss die «Victoria» zwischenzeitlich wieder Luft Wasser holen.
Wer Wert auf möglichst viel Kontrolle legt, liegt bei Lelit richtig.
Aus Erfahrung habe ich die Temperatur aber sehr selten verstellt. Da ich sowieso meist eher dunkel geröstete Espressobohnen benutzt habe, lag ich bei einer leicht tieferen Temperatur von 93 Grad goldrichtig. Die Temperatur bei mittleren Röstungen hochstellen zu können, ist ein nettes Feature, aber wohl am Zielpublikum vorbeigeschossen. Wer die Temperatur ständig optimiert, wird schnell auf eine grössere Maschine mit noch mehr Möglichkeiten umstellen wollen. Kleine Maschinen, wie die «Victoria», sehe ich bei Kapsel-Umsteiger*innen stehen. Klein, schnell aufgeheizt und einfach in der Handhabung. Das sage ich aus Erfahrung.
Womit ich auch gleich beim Espresso bin. Mit 58 Millimetern hat der Siebträger eine sehr gebräuchliche Grösse. Dazu liefert Lelit zwei Siebe für einen oder zwei Espressi mit. Die Kaffeemenge wird mit 7 und 18 Gramm angegeben, wobei ich nur beim Zweiersieb mit 18 Gramm immer gleichmässig extrahierte, doppelte Espressi ziehen konnte.
Die kleine Menge macht das Gift
Das kleine Sieb hatte ich nicht im Griff. Zu schnell oder zu langsam kam die Plörre da aus dem Siebträger, was wohl auch am mitgelieferten Tamper liegt. Der ist Plastikschrott und unbrauchbar. Daher habe ich meinen normalen 58-Millimeter-Tamper verwendet. Kauf dir daher gleich mit der Maschinen einen anständigen Tamper und spar dir den Nervenzusammenbruch.
Wenn du oft bloss einen Espresso trinkst, empfehle ich dir ein Einersieb inklusive Tamper von La Marzocco zu kaufen. Freund Google hilft dir gerne weiter Details haben die User von kaffe-netz.de.
3, 2, 1…
Der oberste Knopf bringt die «Victoria» in Bewegung – unüberhörbar. Sie ist laut, was Maschinen mit Vibrationspumpen so an sich haben. Zudem scheppert die Abtropfschale etwas. Unter dem Getöse liefert sie dir mit 9 bar dann perfekten Espresso, sofern du deine Kaffeemühle richtig justiert hast. Keinen Druckabfall, alles konstant. Etwas verwirrt hat mich zu Beginn einzig, dass die Maschine die Sekunden seit dem Start zwar runterzählt, bei 0 aber nicht automatisch stoppt. Der Countdown ist lediglich ein Timer, den du selbst bestimmen kannst. Stopp drücken musst du selbst. Das ist auch gut so. Ich empfehle ungeachtet des Zeitgebers, jeden Kaffee mit der Waage zu messen. Richtwert für einen doppelten Espresso: 36 bis 40 Gramm Flüssigkeit, während 23 bis 28 Sekunden Bezug. Dass die «Victoria» hier Smartphone-Timer überflüssig macht, ist genial.
Die Huhn-Ei-Frage beim Dampf
Womit wir beim grossen Nachteil der «Victoria» oder, besser gesagt, Einkreiser sind; dem Dampf. Um für den Milchschaum zu dampfen, muss der Boiler bis zu zwei Minuten aufheizen. Das Abkühlen von Dampf auf Kaffee dauert ähnlich lange. Da stellt sich die alte Huhn-Ei-Frage: Was machst du zuerst? Den Milchschaum, der dann in sich zusammenfällt, bis du den Kaffee am Start hast? Oder den Kaffee, der lauwarm ist, bis die Milch aufgeschäumt ist? Ich lass ganz die Finger vom Milchschäumen mit der «Victoria». Für den sonntäglichen Cappuccino reicht es. Täglich würde ich die Dampflanze aber nicht anwenden wollen.
Der Vollständigkeit halber ein kurzer Abriss. Die Dampffunktion ist easy, da es einen Knopf mit einem Dampfsymbol hat. Dann am Rad rechts die Menge bestimmen. Das funktioniert, und ich als Barista-Banause kriege anständigen Milchschaum hin. Stören tut mich das billige Rad aus Plastik. Das scheint mir zu sagen: «Ich bin eh nur Statist, also fass' mich nicht an.»
Wenn die Fassade bröckelt
Abzug gibt es, nebst dem Tamper und dem Dampfrad, für den sperrigen Wassertank aus Plastik. Der lässt sich herausnehmen, hakt dabei aber ständig an Kanten ein. Den Schlauch für die Pumpe und das Überdruckventil muss ich durch das Loch oben in den Tank geben, wobei sich ein Wasserfilter direkt am Schlauch befestigen lässt. Das hätte Lelit bestimmt schöner lösen können. Mit einer Giesskanne oder einem Trichter lässt sich der Tank daher am einfachsten füllen. Ich bin auch ein bisschen MacGyver.
Fazit: Das Schaf im Wolfspelz
Pre-Infusion. PID mit Temperaturkontrolle. Ein schickes Display. Die «Victoria» will mit den Profis spielen. Damit ist sie die ideale Einstiegsdroge, falls du gerne Espresso trinkst und nicht ganz sicher bist, ob dir die Siebträgerwelt zusagt. Hier kannst du dank Temperatursteuerung und Pre-Infusion experimentieren, ohne dir gleich ein riesiges, teures Möbel in die Küche zu stellen. Reichen dir die Funktionen der «Victoria» nicht? Dann zündest du die nächste Stufe und investierst in die «Bianca».
Merkst du, dass du doch ganz gerne Milch schäumst? Dann steigst du auf die grössere «Elisabeth» um. Die hat zwei Boiler und beherrscht Dampf und Espresso gleichzeitig.
Trotzdem ist die «Victoria» eine Empfehlung wert. Nämlich dann, wenn du gar keinen Bock auf Experimente hast und du gerne bei gutem Espresso mit deinen Lieblingsbohnen bleibst. Das mag widersinnig tönen, da die Maschine dich mit ihrem Display dazu auffordert, die Temperatur zu verstellen und zu experimentieren.
Kannst du auch, musst du aber nicht.
Gloria «Victoria».
Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.