Was steckt in der Trash-Powerbank vom Strassenmarkt?
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Was steckt in der Trash-Powerbank vom Strassenmarkt?

Ich habe mir auf dem Strassenmarkt in Italien eine Powerbank gekauft. 22 800 mAh soll die liefern. Angesichts der Grösse kaum zu glauben. Was steckt drin?

Vor einiger Zeit haben uns die Familienferien nach Italien geführt. An einem Ferientag haben wir einen Abstecher auf den Strassenmarkt gemacht. Während in Frankreich noch interessante Flohmärkte zu finden sind, an denen man alte Playmobil-Sets und verstaubte Antiquitäten finden kann, sind Italiens Strassenmärkte heruntergekommen, finde ich. Stand um Stand billiger und noch billigerer Mist frisch aus Fernost.

Für meine Frau ist das jeweils ein Spiessrutenlauf. Wegen unserer Tochter – und mir. Die Tochter wird magisch angezogen von blinkendem Plastikspielzeug, egal wie trashig es ist und obwohl es schon beim Betrachten beinahe auseinander fällt. Für mich ist das ein Paradies, um billigste Elektronik zu kaufen. Insbesondere Kopfhörer, Powerbanks und solche Sachen lege ich mir gerne zu für kleines Geld.

Meine bessere Hälfte verdreht jeweils die Augen, aber ich weiss selbstverständlich, was ich da tue. Material für interessante Artikel wie diesen hier sammeln. Zum Beispiel die Powerbank, um die es hier gehen soll. Sie passt bequem in die Faust. «Wohl um die 2000 mAh», denke ich mir. Weit gefehlt: unglaubliche 22 800 mAh soll das Kästchen bieten. Steht jedenfalls auf der Rückseite des Gehäuses.

Ich weiss, dass das nicht sein kann. 20 000 mAh haben meine grossen Powerbanks, und die sind gross wie Taschenbücher und um die 400 Gramm schwer. 22 800 mAh in dieser Grösse und so leicht wären eine nobelpreiswürdige Revolution in Sachen Energiedichte. Das kaufe ich wohl eher nicht auf dem Strassenmarkt für 12 Euro.

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Wie viel steckt drin?

Die Powerbank ist leer. Ich lade sie und stecke ein USB-Messgerät dazwischen. USB-Messgeräte sind ein zweischneidiges Schwert. Das Problem damit ist, dass solche dazwischen geschalteten Messgeräte nicht selten verhindern, dass das Gerät die maximal mögliche Leistung abrufen kann. Vor allem Netzteil-Kabel-Geräte-Kombinationen, die Schnelladen ermöglichen sollen, werden von ihnen ausgebremst.

Was sie ganz gut können: den Energiefluss vermessen. Und genau das will ich in diesem Fall. Wenn nicht 22 800 mAh, wie viel Energie speichern die Zellen der Powerbank? Leider wird das eine Weile dauern. Die Ladeelektronik der Powerbank ist so dermassen schlecht, dass die Powerbank bei 5.14 V mit 0.09 Ampere geladen wird. Nicht 0.9 Ampere, 0.09 Ampere. Bis die Powerbank ihre angeblichen 22 800 mAh intus hätte, würde es in diesem Schneckentempo mehrere Tage dauern.

Was steckt drin?

So viel Geduld habe ich nicht und schnappe mir einen Schraubendreher. Schrauben hat das Gehäuse leider nicht, aber das Werkzeug hilft mir dabei, das Plastikgehäuse aufzustemmen.

Warnung: Mach das nicht nach! Das Beschädigen des Gehäuses kann die Lithium-Ionen-Zellen verletzen. Die fangen rasch Feuer und brennen heftig.

Jep: Ein bisschen Elektronik und zwei 18650er-Zellen. Die Zellen sind 6.5 cm lang und haben einen Durchmesser von 18 Millimetern. In Consumer-Produkten, wo man die Batterien selbst wechselt, ist dieses Akku-Format ein Exot. In Powerbanks, Taschenlampen und Notebook-Akkus hingegen – Geräten, die man eher nicht öffnen kann – sind 18650er-Zellen der Industrie-Standard. Die Batterien von Teslas bestehen aus einigen tausend dieser Zellen. Sie fassen, je nach Fabrikat und Anwendungszweck, zwischen 0.8 bis 3.5 Ampere-Stunden (Ah) bei 3.7 Volt.

In der Powerbank sind zwei Stück davon parallel geschaltet. Die Powerbank hat also nicht 22 800 mAh sondern eher 2280 mAh. Mit viel Glück. Genau weiss ich es leider nicht. Die unbeschrifteten Noname-Zellen mache ich nicht auf. Bin zwar abenteuerlustig, aber nicht lebensmüde.

Fazit

Ein Fazit kann ich mir eigentlich sparen. Die Leistungsdaten meiner Powerbank sind schlicht gelogen. Selbst wenn ich gutmütig annehme, dass irrtümlich eine Null zu viel aufgedruckt worden ist – die lausige Ladeleistung disqualifiziert die Powerbank für den alltäglichen Gebrauch. Ein Müll-Produkt, das die Fabrik nie hätte verlassen dürfen.

Hinzu kommt: Lithium-Ionen-Akkus sind empfindlich und gefährlich. Bei Tiefentladung gehen sie kaputt und bei Überladung drohen sie zu explodieren. Der Ladeelektronik, die die Zellspannung überwachen soll, traue ich angesichts der desaströsen Leistung nicht über den Weg.

Das aufgedruckte CE-Zeichen – dass das Produkt den Richtlinien der europäischen Union genügt – steht hier wohl eher für «China Export».

Kurz und knapp:

  1. Ist etwas zu gut, um wahr zu sein, dann ist es nicht wahr
  2. Hände weg auf Strassenmärkten, wenn du etwas Seriöses suchst

Bist du auch schon auf Fake-Produkte gestossen? Dann schick mir Bilder des Corpus Delicti und die Story dazu – wenn genug zusammenkommen, zeige ich die schaurigsten Exemplare.

Zum Schluss noch dies: Auch bei diesem Artikel handelt es sich um ein Abfallprodukt – woran ich eigentlich gerade arbeite, ist eine Geschichte über USB-Ladekabel: Warum laden verschiedene Kabel mein Smartphone unterschiedlich schnell? Folge meinem Autoren-Profil, dann kriegst du eine Mail, wenn es soweit ist.

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Ich bändige das Editorial Team. Hauptberuflicher Schreiberling, nebenberuflicher Papa. Mich interessieren Technik, Computer und HiFi. Ich fahre bei jedem Wetter Velo und bin meistens gut gelaunt.


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